21.

KW 2005


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François Lelord

Hector und die Geheimnisse der Liebe

Piper Verlag


224 Seiten

ISBN 3-492-04741-6

ErschienenApril 2005

EUR 16,90

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Inhalt

Es war einmal ein junger Psychiater, der Hector hieß und als Glücksexperte sehr berühmt geworden war. Nun bekommt er von einem mächtigen Konzern einen zweifelhaften Auftrag: der Unstetigkeit der Liebe durch die Entwicklung entsprechender Liebespillen auf die Sprünge zu helfen. Warum verlieben wir uns in jemanden, der gar nichts von uns wissen will? Warum liebt manchmal der eine mehr als der andere? Kann man nicht für immer verliebt bleiben? In einer aufregenden Recherche und einer Versuchsreihe, an der auch Hector selbst teilnimmt, erfährt er alles über das schwierige Zusammenleben von Männern und Frauen. Faszinierend! Könnte eine entsprechende Oxytocin-Dopamin-Rezeptur tatsächlich ...? In letzter Minute besinnt sich Hector. Obwohl sie so kompliziert und schmerzlich sein kann, soll die Liebe in Ewigkeit bleiben, was sie ist: Laune des Augenblicks, das größte Glück und die einzige Macht, die tiefe Sehnsucht stillen kann.

Autor

François Lelord
Der Psychologe François Lelord, geboren 1953, schloß 1996 seine Praxis, um sich und seinen Lesern die wirklich großen Fragen des Lebens zu beantworten. Er ist viel auf Reisen, besonders gerne in Asien, und lebt nach Jahren in Kalifornien heute in Paris. Das erste Buch um Lelords Alter ego, »Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück« wurde ein internationaler Erfolg und stand wochenlang ganz vorne in den deutschen Bestsellerlisten.


Leseprobe

​ ​​​​»Man braucht ihm doch nur zu sagen: ›Lieber Doktor, Sie werden uns helfen, das Geheimnis der Liebe wiederzufinden.‹ Dann denkt er ganz bestimmt, es handle sich um eine richtig noble Mission.«
»Glauben Sie, er ist der richtige Mann dafür?«
»Ich denke schon.«
»Man wird ihn überzeugen müssen. Sie haben eine ordentliche Summe zur Verfügung.«
»Ich glaube, vor allem muß man ihm den Eindruck vermitteln, daß er etwas Nützliches tut.«
»Also sollten wir ihm alles sagen?«
»Ja. Das heißt, nicht wirklich alles, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Natürlich.«
Zwei Männer in grauen Anzügen diskutierten spät am Abend in einem großen Büro an der Spitze eines Hochhausturms. Durch die gläserne Außenwand erblickte man die Stadt, die bis an den Horizont mit all ihren Lichtern funkelte, doch die beiden Männer würdigten das Panorama keines Blickes.
Sie schauten sich ein paar Fotografien an, die sie aus einem Aktenordner gezogen hatten. Auf dem Glanzpapier erkannte man einen eher jungen Mann mit träumerischem Blick.
»Psychiater, was für ein seltsamer Beruf«, sagte der ältere. »Ich frage mich, wie sie das durchhalten.«
»Das möchte ich auch wissen.«
Der jüngere, ein kräftiger Bursche mit kalten Augen, legte die Fotos alle wieder in den Ordner, auf welchem geschrieben stand: »Doktor Hector«.

 

Hector und das chinesische Wandbild 
 
Es war einmal ein junger Psychiater, der Hector hieß. Psychiater ist ein interessanter Beruf, aber manchmal auch ein ziemlich schwieriger und sogar ermüdender. Um ihn weniger beschwerlich zu machen, hatte sich Hector ein hübsches Büro eingerichtet und dort Bilder aufgehängt, die er sehr mochte – vor allem eines, das er aus China mitgebracht hatte. Es war eine große Tafel aus rotem Holz, die von sehr schönen chinesischen Schriftzeichen geziert wurde (von Ideogrammen, falls Sie zu denen gehören, die immer das ganz präzise Wort wissen möchten). Fühlte sich Hector erschöpft wegen all des Unglücks, von dem ihm die Leute berichteten, schaute er auf jene goldenen, ins Holz eingeschnittenen chinesischen Buchstaben, und hinterher ging es ihm besser. Auch diejenigen Personen, die ihm im Sessel gegenübersaßen, um von ihrem Unglück zu erzählen, warfen manchmal einen Blick auf die chinesische Holztafel. Und manchmal schien es Hector, als würde ihnen das guttun, sie wirkten dann viel besänftigter. Einige aber fragten Hector, was jener chinesische Satz bedeuten sollte. Dann saß er ganz schön in der Tinte, denn er wußte es nicht. Er konnte das Chinesische nicht entziffern und erst recht nicht sprechen – und das, wo er doch im Fernen Osten eines Tages eine sehr nette Chinesin kennengelernt hatte. Wenn Sie Doktor sind, ist es ärgerlich, den Patienten zeigen zu müssen, daß Sie etwas nicht wissen. Die Patienten glauben nämlich gern, ihr Arzt wisse einfach alles; das beruhigt sie. Also dachte sich Hector schnell einen Satz aus, jedesmal einen anderen, und versuchte genau den zu finden, der dem Fragenden am besten helfen konnte.
Im Gespräch mit Sophie, einer Dame, die sich im Vorjahr hatte scheiden lassen und die auf den Vater ihrer Kinder noch immer sehr zornig war, verkündete Hector, der chinesische Satz besage folgendes:
»Wer der verlorenen Ernte zu lange nachtrauert, verpaßt die kommende Aussaat.«
Sophie hatte große Augen gemacht, und hinterher sprach sie mit Hector seltener über jenes abscheuliche Ungeheuer, ihren Exmann.
Und zu Roger, einem Herrn, der dazu neigte, beim Spazierengehen in den Straßen ganz laut mit Gott zu reden (Roger glaubte, auch Gott würde zu ihm sprechen, er hörte dessen Antworten sogar im Kopf widerhallen), zu Roger also sagte Hector, jener Satz bedeute:
»Der Weise wahrt Schweigen, wenn er mit Gott spricht.«
Roger entgegnete, diese Feststellung möge für den Gott der Chinesen gültig sein, aber er, Roger, spreche schließlich zu Gott Dem Herrn, zum einzig wahren Gott, und da sei es normal, wenn er sich laut und klar ausdrücke. Hector stimmte zu, aber weil Gott ohnehin alles hörte und verstand, brauchte Roger eigentlich nicht so laut zu sprechen; im Grunde genügte es, wenn er an ihn dachte. Das würde ihm auf der Straße Unannehmlichkeiten ersparen und ihn künftig davor bewahren, für lange Zeit ins Krankenhaus zu müssen. Doch Roger meinte, Gottes Wille liege eben darin, daß er im Krankenhaus landen solle, denn den wahren Glauben erkenne man in den Prüfungen des Schicksals.
Hector fand, daß die neue Therapie, welche er Roger verordnet hatte, seinem Patienten half, viel besser und viel mehr zu reden, aber andererseits machte es seine Arbeit nicht gerade weniger anstrengend.
Am alleranstrengendsten war für Hector jedoch die Liebe. Nein, nicht die in seinem eigenen Leben, sondern im Leben all jener Menschen, die in seine Sprechstunde kamen. Die Liebe schien eine unerschöpfliche Quelle des Leidens zu sein.
Manche beklagten sich, überhaupt nichts von ihr abbekommen zu haben.
»Herr Doktor, ich langweile mich im Leben und fühle mich so traurig. Wie gern wäre ich verliebt und wüßte, daß mich jemand liebt! Ich habe den Eindruck, Liebe gibt es nur für die anderen, aber für mich nicht.«
Solche Reden führte beispielsweise Anne-Marie. Als sie gefragt hatte, was der chinesische Satz bedeute, hatte Hector sie aufmerksam betrachtet.
Anne-Marie hätte ganz reizend sein können, aber sie zog sich an wie ihre Großmutter und verwendete all ihre Energie auf den Beruf. Hector antwortete: »Wer fischen möchte, muß an den Fluß gehen.« Einige Zeit darauf wurde Anne-Marie Mitglied in einem Chor. Sie hatte auch begonnen, sich zu schminken, und zog sich ein klein wenig modischer an.
Andere beklagten sich über zuviel Liebe. So wie es Leute gibt, die zuviel Cholesterin im Blut haben, war es bei ihnen der Überschuß an Liebe, der ihre Gesundheit gefährdete.
»Es ist schrecklich, ich sollte einen Schlußstrich ziehen, ich weiß ja, daß unsere Geschichte vorbei ist, aber ich kann einfach nicht aufhören, daran zu denken. Pausenlos. Glauben Sie, daß ich ihm schreiben sollte... oder rufe ich ihn lieber an? Oder soll ich unten vor seinem Büro warten und versuchen, ihn abzupassen?«
Solche Fragen stellte Claire. Sie hatte, was gar nicht selten vorkommt, eine Affäre mit einem Mann, der nicht mehr frei war, und zu Beginn fand sie es amüsant, denn sie sagte zu Hector, daß sie gar nicht verliebt sei. Schließlich hatte sie sich aber doch richtig verliebt und der Herr übrigens auch. Dennoch hatten sie beschlossen, sich nicht mehr zu sehen, weil die Ehefrau dieses Herrn begonnen hatte, den Braten zu riechen, und weil er sie nicht verlassen wollte. Und da begann Claire wirklich zu leiden, und als sie Hector fragte, was das chinesische Bild sagen wollte, mußte er erst einmal ein bißchen überlegen. »Errichte dein Haus nur auf deinem eigenen Acker.« Claire brach in laute Schluchzer aus, und Hector war nicht besonders zufrieden mit sich.
Er begegnete auch Männern, die an der Liebe litten, und diese Fälle waren noch viel schlimmer: Männer trauen sich erst, zu einem Psychiater zu gehen, wenn es ihnen sehr, sehr schlecht geht oder wenn sie schon alle ihre Freunde mit ihrer Geschichte vergrault haben und anfangen, zu oft zur Flasche zu greifen.
Wie Luc, ein etwas zu netter Bursche, der sehr litt, wenn ihn die Frauen verließen – vor allem, weil er sich meistens die weniger freundlichen aussuchte. Wahrscheinlich kam das daher, daß auch seine Mutter einst nicht besonders freundlich zu ihm gewesen war. Hector sagte ihm, das chinesische Bild bedeute »Wenn dir der Panther angst macht, jage die Antilope«, aber er hatte den Satz noch nicht beendet, da fragte er sich, ob es in China überhaupt Antilopen gab. Luc erwiderte: »Das ist ein ziemlich hartes Sprichwort. Die Chinesen sind grausam, nicht wahr?« Da wußte Hector, daß die Sache noch nicht gewonnen war.
Manche, eigentlich sogar recht viele, und zwar Männer wie Frauen, beklagten sich darüber, eine bestimmte Person früher sehr geliebt zu haben, heute aber nicht mehr. Allerdings verspürten sie für jene Person, mit der sie meist zusammenlebten, immer noch Zuneigung.
»Ich sage mir ja auch, daß es nach so vielen Jahren vielleicht ganz normal ist, und im großen und ganzen verstehen wir uns doch gut. Aber es ist schon Monate her, daß wir das letzte Mal Sex hatten... Ich meine, miteinander...« Da geriet Hector ein bißchen ins Stottern, wenn er der chinesischen Bildtafel einen nützlichen Sinn abgewinnen wollte, oder es fielen ihm solche Banalitäten ein wie »Der Weise erkennt das Schöne an allen Jahreszeiten«, aber daran glaubte er ja selber nicht.
Manche klagten, sie würden zwar Liebe verspüren, aber nicht für die richtige Person.
»Oje, oje, ich weiß genau, daß es mit ihm eine Katastrophe wird – wie üblich... Aber ich kann einfach nicht anders!«
Genauso sagte es Virginie, die von einem leidenschaftlichen Abenteuer ins nächste schlitterte, und zwar mit Männern, die Frauen sehr gefielen, was zu Beginn richtig aufregend war und später ziemlich schmerzlich. Für sie fand Hector den Satz: »Wer auf die Jagd geht, muß jeden Tag neu ausziehen, aber wer das Feld bestellt, kann dem Reis beim Wachsen zuschauen.«
Virginie fand es erstaunlich, was die Chinesen mit gerade mal vier Schriftzeichen alles ausdrücken konnten, und Hector spürte, daß sie ein bißchen pfiffiger war als er.
Andere hatten genug Liebe, schafften es aber dennoch, sich Sorgen zu machen: »Es stimmt schon, wir lieben uns. Aber ist sie die Richtige für mich? So eine Hochzeit ist ja nicht irgendwas. Wenn man mit jemandem verheiratet ist, dann ist das fürs ganze Leben. Und eigentlich möchte ich noch meine Freiheit auskosten...« Diese Menschen bat Hector im allgemeinen, von ihrem Vater und ihrer Mutter zu erzählen und davon, wie die beiden miteinander zurechtkamen.
Andere wieder fragten sich, ob sie noch auf die große Liebe hoffen durften, ob sie überhaupt gut genug waren für dieses Gefühl.
»Also, ich weiß wirklich nicht, wer mich attraktiv finden sollte. Ich glaube, im Grunde bin ich keine besonders interessante Person. Und sogar Sie, Herr Doktor, sehen aus, als würden Sie sich mit mir langweilen.« In solchen Momenten wurde Hector hellwach und widersprach heftig. Hinterher ärgerte er sich über sich selbst, denn die richtige Erwiderung wäre gewesen: »Was bringt Sie auf diesen Gedanken?«
Und so bekam Hector von vielen Leuten zu hören, die Liebe oder der Mangel an Liebe hindere sie am Schlafen, am Denken, am Lachen und manchmal sogar am Leben. Bei solchen Patienten mußte Hector wirklich aufpassen, denn er wußte, daß man sich wegen der Liebe umbringen konnte. Eine große Dummheit! Machen Sie das bloß nicht, und wenn Sie mit dem Gedanken spielen, konsultieren Sie schnell jemanden wie Hector oder rufen Sie einen echten Freund oder eine echte Freundin an.
Auch Hector war schon verliebt gewesen, und er erinnerte sich, wie sehr man wegen der Liebe leiden kann, wie man Tage und Nächte damit verbringt, pausenlos an eine gewisse Person zu denken, die einen nicht mehr sehen will, und wie man sich fragt, was man am besten tun soll – schreiben, telefonieren oder schlaflos im Bett liegen, es sei denn, man leert sämtliche Fläschchen der Minibar in einem Hotelzimmer jener Stadt, in die man extra gekommen ist, um die gewisse Person zu sehen, die einen aber, wie schon gesagt, nicht sehen will. Heute halfen ihm solche Erinnerungen natürlich, die Menschen besser zu verstehen, denen es ebenso erging. Hector erinnerte sich auch an die netten jungenFrauen, die er hatte leiden lassen, und heute war er nicht gerade stolz darauf: Sie hatten ihn geliebt, und auch er hatte sie geliebt. Mal war er Henker gewesen, mal Opfer, und bisweilen hatte er beides erlebt und mit ein und derselben Freundin. Die Liebe ist nämlich kompliziert, und am schlimmsten ist, daß sie sich nicht voraussehen läßt.
Inzwischen waren alle diese Qualen Vergangenheit für Hector (das glaubte er jedenfalls zu Beginn der Geschichte, aber Sie werden ja sehen); er hatte eine gute Freundin namens Clara, die er sehr liebte und von der er geliebt wurde, und beide dachten sogar daran, ein Kind miteinander zu haben und womöglich gar zu heiraten. Hector war zufrieden, denn letztendlich sind Liebesgeschichten sehr anstrengend, und wenn Sie jemanden gefunden haben, den Sie mögen und der Sie mag, hoffen Sie ja auch immer, es möge Ihre letzte Liebesgeschichte sein.
Gleichzeitig, und das ist wirklich bizarr, fragen Sie sich aber, ob es Sie nicht ein bißchen traurig machen würde, wenn es wirklich die letzte Liebesgeschichte wäre. Da sehen Sie schon, wie kompliziert die Liebe ist!